Heftverantwortung: Dagmar Hoffmann & Hans-Dieter Kübler
Sven Lewandowski
Die sexuelle Revolution entlässt die Alten nicht. Über den soziokulturellen Wandel der Sexualität im Alter
Der vorliegende Essay befasst sich mit dem Phänomen der Alterssexualität aus soziologischer Perspektive. Er plädiert dafür, die Analyse der Alterssexualität von einem bio-medizinischen Fokus abzulösen und sie auf genuin soziologische Konzepte – insbesondere auf eine Analyse von gesellschaftlichen Normen und Erwartungsstrukturen bezüglich des Sexuellen – auszurichten. Das Phänomen der Alterssexualität wird auf die Expansion des modernen Sexualitätssystems zurückgeführt, das immer weitere Personen(gruppen) und so auch die Alten inkludiert. Dass Alterssexualität in medialen Inszenierungen bislang eher wenig präsent ist, wird u.a. aus geschlechtsdifferenten Nachfragestrukturen erklärt, die aus generationenspezifischen geschlechtlichen bzw. sexuellen Ungleichzeitigkeiten resultierten. Betont wird zudem die Bedeutung von generationenspezifischem sexuellem Habitus. Der Tatsache, dass zunehmend die Generation der sexuellen Revolution der 1960er Jahre die Generation der heutigen (und künftigen) Alten bildet, lasse einen radikalen Wandel der Alterssexualität erwarten, da sich der sexuelle Habitus dieser Generation von jenem vorheriger Generationen grundlegend unterscheide.
Sexual Revolution without Retirement. On the sociocultural Changes in Older People’s Sexuality
This essay deals with the phenomenon of the sexuality of the elderly from a sociological perspective. It shall be argued for a shift of analysis of older people’s sexuality from a bio-medical focus to genuinely sociological concepts – in particular to an analysis of social norms and expectations regarding sexuality. The phenomenon of the sexuality of the elderly will be related to the expansion of the modern sexuality system and its inclusion dynamics. The fact that the sexuality of the elderly is underrepresented in mass media shall be related to gender differences in the demand for sexual representations. More concretely it shall be pointed out that these demand patterns result from generational gender gaps regarding sexuality and generational specific sexual habits. Because of the fact that the generation of the sexual revolution of the 1960s is increasingly the generation of today's (and future’s) elderly it can be expected that a radical transformation of the sexuality of the elderly will be likely.
Karla Verlinden
„Es waren die wildesten und wichtigsten Jahre“ – Erinnerungen ehemaliger ‚68erInnen’ zur ‚freien Liebe’ sowie die Rolle der Medien dabei
Die promiske Lebensführung der Studentenbewegung kam einem massenmedialen Ereignis gleich. Die freie Liebe der ‚68erInnen’ fiel in eine Zeit, in der Sexualität enttabuisiert wurde und sich die Prüderie der 1950er Jahre verflüchtigte. Die mediale Berichterstattung über das, was die linkspolitisierten Studierenden ‚trieben’, übte eine Faszination auf junge Menschen aus und trug dazu bei, dass sich der Bewegung angeschlossen wurde. Narrative Interviews mit ZeitzeugInnen aus der Bewegung zeigen auf, dass die Umsetzung der freien, polygamen Beziehungsgestaltung eher einem kurzen Experiment gleichkam und sich nach einer Erprobungsphase wieder der (seriellen) Monogamie zugewandt wurde. Die Alt-‚68erInnen’ beschreiben sich mit Blick auf ihre Zeit als sexuell befreiter als es die nachfolgenden Generationen nun seien.
„Those years have been the wildest and most important ones“ - Memories from actors of the ‚68’ student movement about ‚free love’ and the incluence of media
The promiscuous lifestyle of the 68’ student movement has to be seen as a mass media event. The ‚free love’ of the 68’ generation took place at a time where sexuality was no longer a tabu and the prudishness of the 1950s gradually vanished. Young people were fascinated by the media coverage of left-wing oriented students’ activities at that time leading to many of such people joining the movement. Narrative interviews with contemporary witnesses from the movement show that applying to sexually open and polygamous relationships was rather a short episode and the majority of the participants turned to (serial) monogamous relationships after all. From a retrospective perspective, former 68’ generation activists describe themselves as more sexually liberated than following generations.
Joan Kristin Bleicher
Zwischen Lieben und Leiden. Alter und Erotik in fiktionalen Sendungen des Deutschen Fernsehens
Anhand von Sendereihen und Fernsehfilmen aus unterschiedlichen Phasen der deutschen Fernsehgeschichte stellt der Beitrag Veränderungen in der Darstellung von Alter und Erotik vor. Im Fokus stehen dabei in Anlehnung an die bisherige Fernsehforschung neben dramaturgischen Strategien die Figuren und die an sie geknüpften Handlungsstrukturen, Lebensmodelle und impliziten Moralvorstellungen. Fiktionale Fernsehfilme werden dabei als zentrale Faktoren televisionärer Darstellungen von Lebensmodellen und ihren gesellschaftlichen Veränderungen angesehen.
About Love and Suffering. Old Age and Erotic in German Television Movies
This article describes changes in the presentation of old age and eroticism in television series and motives. The analyses of general dramaturgic strategies,
characters, live models, implicite value systems and plot structures follows the diverse perspectives of television studies. Television fiction is regarded as central factor in the presentation
of social changes regarding live models.
Dieter Wiedemann
Von „Wolke Sieben“ zu „Wolke Neun“ – Anmerkungen zur filmischen Darstellung von Sexualität im Alter
Der Beitrag widmet sich der Frage, ob und inwieweit sich die wachsende Bedeutung der Altersgruppe 65+ in unserer Gesellschaft in den Produktionen der deutschsprachigen Filmindustrie widerspiegelt. Im Zentrum der Analyse steht dabei die Darstellung von Liebe und Sex(ualität) dieser Altersgruppe in deutschen Filmen des letzten Jahrzehnts. In Auswertung ausgewählter Publikationen zu diesem Thema und durch Sichtung der wichtigsten Filme wird deutlich, dass diese Altersgruppe in den AV-Medien zwar zunehmend zur Kenntnis genommen wird, diese Kenntnisnahme sich aber vorrangig auf deren problematische Entwicklungen (Altersarmut, Pflegebedürftigkeit, Alzheimer etc.) bezieht. Sexualität und Liebe im Alter bleiben eher ein marginales Thema in zeitgenössischen Spielfilmproduktionen.
From "cloud sieves" to "cloud nine" – notes on the cinematic depiction of sexuality in old age
The paper is devoted to the question of whether and to what extent the growing importance of age 65+ in the productions of the German-speaking film industry is reflected. At the center of the analysis is the depiction of love and sexuality of this age group in German films of the last decade. In the evaluation of selected publications on this subject and the screening of the most important films, it is clear that this age group is increasingly taken into account in the AV media, but this knowledge primarily refers to their problematic developments (age poverty, long-term care, Alzheimer's disease, etc.) . Sexuality and love in old age remain rather a marginal issue in the production of the latest feature films.